2016-09-02 'tragic kingdom (exquisite boredom)' introduction speech by linda schröer at kunstraum unten, bochum
 


Frustration, Desillusionierung, Mangel an Anerkennung, Unsicherheit und Infragestellung der eigenen künstlerischen Arbeit bestimmen die Situation vieler junger KünstlerInnen. Davon können sich auch Matthias Danberg und Sven Piayda nicht freisprechen. Sie nutzen animierte Videos und digitale Fotografie und damit Medien, die zwar vom Kunstbetrieb anerkannt und längst Eingang in die Institutionen erhalten haben, vom Kunstmarkt jedoch stiefmütterlich behandelt werden (Ausnahmen wie die weltberühmten Koryphäen der digitalen Fotografie und Sammlerinnen wie Julia Stoschek bestätigen die Regel). "Wegen ihrer unendlichen Reproduzierbarkeit mangele es den Medienprodukten an einem Merkmal, das die Autorität eines Kunstwerks begründe, nämlich der auratischen Einmaligkeit des Originals." Auch wenn die Etablierung auf dem Kunstmarkt keineswegs Intention der eigenen künstlerischen Arbeit ist, so zwingt der Wandel von der Einflussnahme der Museen und der Kunstgeschichte auf den Markt, hin zu einer heutigen Herrschaft der Sammler, zu einer steten Reflexion der Verhältnisse. Dass diese Entwicklung nicht zum Ausstieg aus der Kunst führen muss, sondern als Motivation und Antrieb zu reflexiver künstlerischer Produktion genutzt werden kann, zeigt die Ausstellung mit dem bezeichnenden Titel "Tragic Kingdom (Exquisite Boredom)".


Bei Matthias Danberg geht dies mit der Befragung der eigenen künstlerischen Ausdrucksmittel einher, denn als Videokünstler erschafft er im Grunde Immaterielles und dadurch unendlich Reproduzierbares. Im Ausstellungsraum des kunstraum-unten reiht er drei gerahmte Prints aneinander und erstellt ein analoges, gegenständliches Äquivalent. "Two Face", "Mr. Cap" und "Flying Eye" von 2016 zeigen animierte Büsten androider, von der Kunstgeschichte, aber auch von der Pop-Industrie inspirierter Figuren, die zum Beispiel an futuristisch angehauchte Brâncu?is und afrikanische Masken erinnern. Es sind Protagonisten aus Danbergs Arbeiten, zum Beispiel aus einem Video mit dem Titel "sculptures". Seine digitalen Charaktere stehen ihm hier wie für ein analoges Foto Modell: Durch eine Lichtleiste von oben angestrahlt, arrangiert er die Büsten auf einem verstellbaren Drehhocker vor einem leinwandähnlichen Hintergrund. Indem Danberg hier, so wie immer wieder in seinem Œuvre, Fotografie-, Malerei-, Video- und Bildhauereigeschichte miteinander verknüpft, testet er die jeweiligen Gattungsgrenzen aus. Dieser intermediale Ansatz erinnert an den seit der Antike geführten Wettstreit der Künste, an den sogenannten "Paragone". Hier diskutiert man theoretisch die Vorzüge der eigenen Gattung gegenüber der Konkurrenz. Damals mit der Intention, die bildende Kunst, vorrangig die Malerei, vom Status des Handwerks in den artes mechanicae zu befreien und zu den artes liberales, den freien, geistigen Künsten, zu erheben. Die Bildhauerei wurde der Malerei meist argumentativ als laute und dreckige, aber dafür mehransichtige Handarbeit untergeordnet. Die Malerei setzt Wissen in den Bereichen Geschichte, Dichtung, Mathematik und Geometrie voraus und ist daher eine Kunst des Geistes, dabei allerdings flach. Indem Danberg nun Skulpturen im virtuellen Raum schafft, diskutiert er den Paragone in der Praxis: Durch die digitale Technik wird die Rechenleistung sowie die maschinelle Handarbeit an den Computer abgegeben. Lärm und Dreck verschwinden. Die geistige Arbeit, Idee und Entwurf, obliegt dem Künstler. Lediglich die dem Video und der digitalen Bildproduktion inhärente Immaterialität ist ein "Schwachpunkt", den Danberg mit den Prints zu überwinden versucht, denn sie fungieren als Materialisierung des digitalen Mediums. Dadurch zeigt Danberg den großen Spielraum an Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten als medienspezifische Vorteile und stellt daran anschließend Fragen nach dem Stellenwert des Digitalen in der Kunst, sprich Fragen nach den Prozessen der Legitimation und Anerkennung sowie den jeweiligen Marktbedingungen.


In fünf, zwar digital manipulierten, aber "wirklichen" Fotografien reflektiert Piayda seinen Blick auf und seine Erfahrungen mit dem Kunstbetrieb. Dies vollzieht er mit Anspielungen auf den kunstmarkthintergehenden Thomas Schütte, auf wirtschaftliches (Des)Interesse sowie mit Erzählungen über Aufopferung und Instrumentalisierung.


In "Eve" von 2016 liegt auf einer Lichtung eine umgestürzte Skulptur. Es handelt sich um die Rückenansicht von August Rodins Bronze "Eva" aus dem Jahr 1888. Rodins, so wie eine Vielzahl von Skulpturen im öffentlichen Raum, werden immer wieder Opfer von Vandalismus. Auch die "Eva" im Foyer der Weimarer Bauhaus-Universität wurde im Februar dieses Jahres gewaltsam von ihrem Sockel gestoßen. Hier geht es jedoch nicht nur um die Frage nach der Akzeptanz von Kunst in der Gesellschaft. Auffällig ist nämlich die hochglänzende, seltsam changierende Oberfläche, die an Skulpturen aus Thomas Schüttes Serie "Frauen" erinnert. Schütte hat sich nicht nur die Frage über den verantwortungsvollen Umgang mit Künstlernachlässen gestellt und sie mit einem einzigartigen, selbstinitiierten und selbstfinanzierten Bauprojekt beantwortet, sondern es sich zum Grundsatz gemacht, höchstens 25% seiner Kunstproduktion dem Markt zum Verkauf anzubieten. Denn Verkäufe an Privatsammler bedeuten oftmals den Entzug des Kunstwerkes aus der Öffentlichkeit. Immense Leih-, Transport- und Versicherungsgebühren zwingen Museen zum Verzicht, sodass öffentliche Präsentationen zwangsläufig abnehmen. Nur ein Beispiel dafür wie der Kunstmarkt den Kunstbetrieb durchdringt. Schütte und Piayda formulieren daher Plädoyers für ein Bewusstsein dieser Mechanismen. Die Kunst darf nicht durch das Kapital vom Sockel gestoßen werden!


Doch offenbart sich dahinter ein noch größeres Problem, wie es Hanno Rauterberg in dem 2013 erschienen ZEIT-Artikel "Magd des Marktes" beschreibt: "Die Kunst ist aus der Liebhabernische herausgetreten, sie ist populär und teuer geworden. Und das bleibt nicht ohne Folgen, für die Künstler und für die Kunst. Ihre Autonomie und Freiheit werden zu Markte getragen." Auch die pixelig wirkende Schwarz-Weiß-Fotografie mit dem Titel "Neuschwanstein Pins" setzt sich mit dieser Fragestellung auseinander. Das weltberühmte Schloss Neuschwanstein steht für Deutschland wie der Eiffelturm für Frankreich. Über die immense Produktion von fotografischen Abbildungen verbreitete sich das Image des Baus als romantisches und idealisiertes Märchenschloss und wurde gar zur Vorlage für selbiges von Walt Disney. Sogar Andy Warhol fertigte 1987 Siebdrucke des in die Berglandschaft eingebetteten Schlosses - als Auftragsarbeit zum Firmenjubiläum der Bayerischen Rück (heute: Münchner Rückversicherung). Unter einer Vielzahl von Bildbänden über Bayern wählte Warhol, der dafür bekannt war, keinerlei Berührungsängste mit der Wirtschaft zu haben, eine fotografische Panoramaaufnahme des Schlosses. 1200 Serigraphien, 100 signierte Siebdrucke sowie zwei Originale entstanden - das eine für den Hauptsitz der Versicherung, das andere wurde der Städtischen Galerie im Münchner Lenbachhaus geschenkt. Als Warhol kurz darauf starb und dieses Bild zu einem seiner letzten vollendeten Werke wurde, nahm die Wertsteigerung ihren Lauf, auch Neuschwansteins Ikonenstatus stieg und selbstredend das Image der Bayrischen Rück als Kulturförderer. Bei einem solchen Auftragsverhältnis darf jedoch nie außer Acht gelassen werden: "Imagetransfer [ist] ein wechselseitiger Transfer: Nicht nur profitiert das Unternehmen vom Image der Kunst, vor die Kunst schiebt sich zugleich das Image des Profits." Ein tragischer Umstand, der sich am Ende nicht nur auf das Werk des jeweiligen Künstlers auswirkt, sondern auf die Kunst an sich, und der damit die gesamte hart erkämpfte Autonomie der Kunst auf's Spiel setzt. Ein Glück, dass sich heute verstärkt souveräne Ausstellungsräume, Off-Orte, Kunstvereine und viele weitere Non-Profit-Organisationen diese Unabhängigkeit vom Marktinteresse und von den Besucherzahlen versuchen zu bewahren und dass sie mit den wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einen Gegenentwurf zum Kunstvertrieb sowie zum Popularitätsdruck großer kultureller Institutionen bieten. So wie hier im kunstraum-unten, wo alle Einnahmen in das Budget für kommende Ausstellungen zurückfließen. Einnahmen beispielsweise über den Verkauf von Editionen, also von Kunstwerken, die meist in höherer Auflage und zu einem günstigeren Preis angeboten werden und von denen auch zu dieser Ausstellung welche erhältlich sind. Der Verkauf von Editionen steht dabei keineswegs in Widerspruch zur Kritik am Kunstmarkt, sondern basiert auf der Idee der Demokratisierung der Kunst. Piaydas Fotografie "recovered replica" ist sogar unlimitiert, sodass die Idee des Unikats und damit auch kapitalsteigernde Originalitätsansprüche untergraben werden.


"Everlasting vow" (2015) ist Piaydas wohl persönlichste Arbeit. Die Fotografie zeigt eine Baustellensituation auf nahezu unbebautem Gebiet. Es scheint verlassen, zwar gibt es Arbeitsgeräte, aber keinen, der sie bedient. Vier halbfertige Straßen strömen auf den Mittelpunkt zu, der von einer Kreisverkehrsinsel gebildet wird, doch keine von ihnen führt zu einem sichtbaren Ziel. Die Insel wird fast vollständig von einem aus glänzendem Stahl geformten Kreis ausgefüllt. Hier drückt Piayda seine Enttäuschung über nicht realisierte Ausstellungsvorhaben aus: Für eine Einzelausstellung angefragt, konzipierte er eine Präsentation, die es jedoch nie (außer auf seinem Online-Blog) zu sehen gab. Denn trotz mehrmaliger Rückfragen blieb jegliche Reaktion aus, sodass der damalige Ausstellungstitel heute vorausahnend ironisch wirkt: "culture mine" (Kulturförderung). Der Kreis, das Symbol der Vollkommenheit, erscheint hier vielmehr wie ein unendlicher Kreislauf ohne Ziel. Darüber hinaus definiert der Kreis ein Innen und Außen, das heißt er integriert, grenzt aber auch aus, was sich außerhalb von ihm befindet. Piayda spricht hier über Machtverhältnisse, über Ablehnung, Enttäuschung und über den aufkeimenden Zweifel am Wert der eigenen künstlerischen Arbeit.


Die Fotografie "Happy Prince" (2016) zeigt eine über Gehölz inmitten eines Hains schwebende Karosserie eines roten 1098 Ford Probe. Der Titel bezieht sich auf die gleichnamige Kurzgeschichte Oscar Wildes. Dort erträgt ein reich mit Edelsteinen und Gold besetztes Prinzendenkmal das Elend der Stadt mitsamt seiner Bürger nicht mehr, lässt sich bis auf die letzte Kostbarkeit "ausschlachten" und opfert sich damit selbst. Gleichzeitig spielt der Titel aber auch auf den Künstler Richard Prince an, der vor allem für seine astronomischen Preise auf dem Kunstmarkt bekannt ist. Prince hatte Mitte der 2000er Muscle-Cars ausgeschlachtet oder mit Frauenbildern beklebt und das Auto als Sinnbild von Freiheit, für Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit inszeniert. Angesichts dessen muss sich der aufopfernde und am Ende gebrochene Künstler der Macht des Marktes geschlagen geben.


Dieser bittere Beigeschmack einer scheinbar zerstörten Freiheit der Kunst drückt sich auch in der im Hintergrund laufenden Soundarbeit aus. Piayda hat den Song "I'm broken" von der Heavy-Metal-Band Pantera am Computer geschreddert und damit zerstört, was sich vorher schon als kaputt definiert hat. Hier funktioniert etwas nicht mehr wie es soll.


Die Arbeiten im Ausstellungsraum werden durch zwei Vitrinen im Gang der U-Bahn-Station erweitert. Drei Videoarbeiten laufen hier für den Besucher oder flüchtig Vorbeieilenden und fügen dem Ausstellungskonzept noch eine ironische Brechung hinzu: Die ehemalige Nutzung der Vitrinen als Werbefläche präsentiert die Kunst als Ware. Ähnlich einem Schaufensterbummel, bei dem die Absicht des Schauens vor der des Kaufens steht, können die Objekte der Begierde - nur von einer Scheibe getrennt - ausgiebig betrachtet werden. Doch die Videos wecken aufgrund ihrer Immaterialität kaum vorrangig das Verlangen zum Kauf - sieht man von den Bildschirmen, auf denen sie laufen, einmal ab. Danberg und Piayda werben hier vielmehr um Aufmerksamkeit.


Während ersterer auf zwei Flachbildschirmen mit animierten GIF-ähnlichen Videos die internetbedingte äußerst kurze Aufmerksamkeitsspanne heutiger Betrachter bedient, fordert Piayda das Verweilen und Beobachten ein. Altmodisch auf einem Röhrenfernseher präsentiert, schürt die langsame Bewegung der riesigen Parabolantenne die Erwartungshaltung des Betrachters, die am Ende durch Ereignislosigkeit unterlaufen wird. Flankiert wird diese Arbeit von einer mithilfe der 3D-Technik gedruckten Skulptur von Matthias Danberg, die wie die Prints einen Protagonisten seines aktuellen Videos sozusagen materiell verwertet, doch überträgt Danberg hier das flache bzw. animierte Bild in ein reales dreidimensionales Objekt; und offeriert sie damit einem objektfixierten Markt zum Kauf.


Matthias Danberg und Sven Piayda verwandeln in der Ausstellung "Tragic Kingdom (Exquisite Boredom)" ihre Unzufriedenheit mit dem kommerziellen Kunstbetrieb in produktives, künstlerisches Schaffen. Anstatt ihm zu entsagen, entstehen subversive, hochaktuelle Arbeiten mit dem Wissen über die Paradoxie, sich selbst innerhalb des kritisierten Systems zu bewegen. Denn schlussendlich ist festzuhalten, dass Wirkung eben immer auch Öffentlichkeit benötigt.

Linda Schröer
Dortmunder Kunstverein

please check pdf version for footnotes and contact info
click here for pdf version