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Frustration, Desillusionierung, Mangel an Anerkennung, Unsicherheit
und Infragestellung der eigenen künstlerischen Arbeit bestimmen die Situation
vieler junger KünstlerInnen. Davon können sich auch Matthias Danberg und
Sven Piayda nicht freisprechen. Sie nutzen animierte Videos und digitale
Fotografie und damit Medien, die zwar vom Kunstbetrieb anerkannt und längst
Eingang in die Institutionen erhalten haben, vom Kunstmarkt jedoch stiefmütterlich
behandelt werden (Ausnahmen wie die weltberühmten Koryphäen der digitalen
Fotografie und Sammlerinnen wie Julia Stoschek bestätigen die Regel).
"Wegen ihrer unendlichen Reproduzierbarkeit mangele es den Medienprodukten
an einem Merkmal, das die Autorität eines Kunstwerks begründe, nämlich
der auratischen Einmaligkeit des Originals." Auch wenn die Etablierung
auf dem Kunstmarkt keineswegs Intention der eigenen künstlerischen Arbeit
ist, so zwingt der Wandel von der Einflussnahme der Museen und der Kunstgeschichte
auf den Markt, hin zu einer heutigen Herrschaft der Sammler, zu einer
steten Reflexion der Verhältnisse. Dass diese Entwicklung nicht zum Ausstieg
aus der Kunst führen muss, sondern als Motivation und Antrieb zu reflexiver
künstlerischer Produktion genutzt werden kann, zeigt die Ausstellung mit
dem bezeichnenden Titel "Tragic Kingdom (Exquisite Boredom)".
Bei Matthias Danberg geht dies mit der Befragung der eigenen künstlerischen
Ausdrucksmittel einher, denn als Videokünstler erschafft er im Grunde
Immaterielles und dadurch unendlich Reproduzierbares. Im Ausstellungsraum
des kunstraum-unten reiht er drei gerahmte Prints aneinander und erstellt
ein analoges, gegenständliches Äquivalent. "Two Face", "Mr. Cap" und "Flying
Eye" von 2016 zeigen animierte Büsten androider, von der Kunstgeschichte,
aber auch von der Pop-Industrie inspirierter Figuren, die zum Beispiel
an futuristisch angehauchte Brâncu?is und afrikanische Masken erinnern.
Es sind Protagonisten aus Danbergs Arbeiten, zum Beispiel aus einem Video
mit dem Titel "sculptures". Seine digitalen Charaktere stehen ihm hier
wie für ein analoges Foto Modell: Durch eine Lichtleiste von oben angestrahlt,
arrangiert er die Büsten auf einem verstellbaren Drehhocker vor einem
leinwandähnlichen Hintergrund. Indem Danberg hier, so wie immer wieder
in seinem Œuvre, Fotografie-, Malerei-, Video- und Bildhauereigeschichte
miteinander verknüpft, testet er die jeweiligen Gattungsgrenzen aus. Dieser
intermediale Ansatz erinnert an den seit der Antike geführten Wettstreit
der Künste, an den sogenannten "Paragone". Hier diskutiert man theoretisch
die Vorzüge der eigenen Gattung gegenüber der Konkurrenz. Damals mit der
Intention, die bildende Kunst, vorrangig die Malerei, vom Status des Handwerks
in den artes mechanicae zu befreien und zu den artes liberales, den freien,
geistigen Künsten, zu erheben. Die Bildhauerei wurde der Malerei meist
argumentativ als laute und dreckige, aber dafür mehransichtige Handarbeit
untergeordnet. Die Malerei setzt Wissen in den Bereichen Geschichte, Dichtung,
Mathematik und Geometrie voraus und ist daher eine Kunst des Geistes,
dabei allerdings flach. Indem Danberg nun Skulpturen im virtuellen Raum
schafft, diskutiert er den Paragone in der Praxis: Durch die digitale
Technik wird die Rechenleistung sowie die maschinelle Handarbeit an den
Computer abgegeben. Lärm und Dreck verschwinden. Die geistige Arbeit,
Idee und Entwurf, obliegt dem Künstler. Lediglich die dem Video und der
digitalen Bildproduktion inhärente Immaterialität ist ein "Schwachpunkt",
den Danberg mit den Prints zu überwinden versucht, denn sie fungieren
als Materialisierung des digitalen Mediums. Dadurch zeigt Danberg den
großen Spielraum an Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten als medienspezifische
Vorteile und stellt daran anschließend Fragen nach dem Stellenwert des
Digitalen in der Kunst, sprich Fragen nach den Prozessen der Legitimation
und Anerkennung sowie den jeweiligen Marktbedingungen.
In fünf, zwar digital manipulierten, aber "wirklichen" Fotografien reflektiert
Piayda seinen Blick auf und seine Erfahrungen mit dem Kunstbetrieb. Dies
vollzieht er mit Anspielungen auf den kunstmarkthintergehenden Thomas
Schütte, auf wirtschaftliches (Des)Interesse sowie mit Erzählungen über
Aufopferung und Instrumentalisierung.
In "Eve" von 2016 liegt auf einer Lichtung eine umgestürzte Skulptur.
Es handelt sich um die Rückenansicht von August Rodins Bronze "Eva" aus
dem Jahr 1888. Rodins, so wie eine Vielzahl von Skulpturen im öffentlichen
Raum, werden immer wieder Opfer von Vandalismus. Auch die "Eva" im Foyer
der Weimarer Bauhaus-Universität wurde im Februar dieses Jahres gewaltsam
von ihrem Sockel gestoßen. Hier geht es jedoch nicht nur um die Frage
nach der Akzeptanz von Kunst in der Gesellschaft. Auffällig ist nämlich
die hochglänzende, seltsam changierende Oberfläche, die an Skulpturen
aus Thomas Schüttes Serie "Frauen" erinnert. Schütte hat sich nicht nur
die Frage über den verantwortungsvollen Umgang mit Künstlernachlässen
gestellt und sie mit einem einzigartigen, selbstinitiierten und selbstfinanzierten
Bauprojekt beantwortet, sondern es sich zum Grundsatz gemacht, höchstens
25% seiner Kunstproduktion dem Markt zum Verkauf anzubieten. Denn Verkäufe
an Privatsammler bedeuten oftmals den Entzug des Kunstwerkes aus der Öffentlichkeit.
Immense Leih-, Transport- und Versicherungsgebühren zwingen Museen zum
Verzicht, sodass öffentliche Präsentationen zwangsläufig abnehmen. Nur
ein Beispiel dafür wie der Kunstmarkt den Kunstbetrieb durchdringt. Schütte
und Piayda formulieren daher Plädoyers für ein Bewusstsein dieser Mechanismen.
Die Kunst darf nicht durch das Kapital vom Sockel gestoßen werden!
Doch offenbart sich dahinter ein noch größeres Problem, wie es Hanno
Rauterberg in dem 2013 erschienen ZEIT-Artikel "Magd des Marktes" beschreibt:
"Die Kunst ist aus der Liebhabernische herausgetreten, sie ist populär
und teuer geworden. Und das bleibt nicht ohne Folgen, für die Künstler
und für die Kunst. Ihre Autonomie und Freiheit werden zu Markte getragen."
Auch die pixelig wirkende Schwarz-Weiß-Fotografie mit dem Titel "Neuschwanstein
Pins" setzt sich mit dieser Fragestellung auseinander. Das weltberühmte
Schloss Neuschwanstein steht für Deutschland wie der Eiffelturm für Frankreich.
Über die immense Produktion von fotografischen Abbildungen verbreitete
sich das Image des Baus als romantisches und idealisiertes Märchenschloss
und wurde gar zur Vorlage für selbiges von Walt Disney. Sogar Andy Warhol
fertigte 1987 Siebdrucke des in die Berglandschaft eingebetteten Schlosses
- als Auftragsarbeit zum Firmenjubiläum der Bayerischen Rück (heute: Münchner
Rückversicherung). Unter einer Vielzahl von Bildbänden über Bayern wählte
Warhol, der dafür bekannt war, keinerlei Berührungsängste mit der Wirtschaft
zu haben, eine fotografische Panoramaaufnahme des Schlosses. 1200 Serigraphien,
100 signierte Siebdrucke sowie zwei Originale entstanden - das eine für
den Hauptsitz der Versicherung, das andere wurde der Städtischen Galerie
im Münchner Lenbachhaus geschenkt. Als Warhol kurz darauf starb und dieses
Bild zu einem seiner letzten vollendeten Werke wurde, nahm die Wertsteigerung
ihren Lauf, auch Neuschwansteins Ikonenstatus stieg und selbstredend das
Image der Bayrischen Rück als Kulturförderer. Bei einem solchen Auftragsverhältnis
darf jedoch nie außer Acht gelassen werden: "Imagetransfer [ist] ein wechselseitiger
Transfer: Nicht nur profitiert das Unternehmen vom Image der Kunst, vor
die Kunst schiebt sich zugleich das Image des Profits." Ein tragischer
Umstand, der sich am Ende nicht nur auf das Werk des jeweiligen Künstlers
auswirkt, sondern auf die Kunst an sich, und der damit die gesamte hart
erkämpfte Autonomie der Kunst auf's Spiel setzt. Ein Glück, dass sich
heute verstärkt souveräne Ausstellungsräume, Off-Orte, Kunstvereine und
viele weitere Non-Profit-Organisationen diese Unabhängigkeit vom Marktinteresse
und von den Besucherzahlen versuchen zu bewahren und dass sie mit den
wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einen Gegenentwurf zum Kunstvertrieb
sowie zum Popularitätsdruck großer kultureller Institutionen bieten. So
wie hier im kunstraum-unten, wo alle Einnahmen in das Budget für kommende
Ausstellungen zurückfließen. Einnahmen beispielsweise über den Verkauf
von Editionen, also von Kunstwerken, die meist in höherer Auflage und
zu einem günstigeren Preis angeboten werden und von denen auch zu dieser
Ausstellung welche erhältlich sind. Der Verkauf von Editionen steht dabei
keineswegs in Widerspruch zur Kritik am Kunstmarkt, sondern basiert auf
der Idee der Demokratisierung der Kunst. Piaydas Fotografie "recovered
replica" ist sogar unlimitiert, sodass die Idee des Unikats und damit
auch kapitalsteigernde Originalitätsansprüche untergraben werden.
"Everlasting vow" (2015) ist Piaydas wohl persönlichste Arbeit. Die Fotografie
zeigt eine Baustellensituation auf nahezu unbebautem Gebiet. Es scheint
verlassen, zwar gibt es Arbeitsgeräte, aber keinen, der sie bedient. Vier
halbfertige Straßen strömen auf den Mittelpunkt zu, der von einer Kreisverkehrsinsel
gebildet wird, doch keine von ihnen führt zu einem sichtbaren Ziel. Die
Insel wird fast vollständig von einem aus glänzendem Stahl geformten Kreis
ausgefüllt. Hier drückt Piayda seine Enttäuschung über nicht realisierte
Ausstellungsvorhaben aus: Für eine Einzelausstellung angefragt, konzipierte
er eine Präsentation, die es jedoch nie (außer auf seinem Online-Blog)
zu sehen gab. Denn trotz mehrmaliger Rückfragen blieb jegliche Reaktion
aus, sodass der damalige Ausstellungstitel heute vorausahnend ironisch
wirkt: "culture mine" (Kulturförderung). Der Kreis, das Symbol der Vollkommenheit,
erscheint hier vielmehr wie ein unendlicher Kreislauf ohne Ziel. Darüber
hinaus definiert der Kreis ein Innen und Außen, das heißt er integriert,
grenzt aber auch aus, was sich außerhalb von ihm befindet. Piayda spricht
hier über Machtverhältnisse, über Ablehnung, Enttäuschung und über den
aufkeimenden Zweifel am Wert der eigenen künstlerischen Arbeit.
Die Fotografie "Happy Prince" (2016) zeigt eine über Gehölz inmitten eines
Hains schwebende Karosserie eines roten 1098 Ford Probe. Der Titel bezieht
sich auf die gleichnamige Kurzgeschichte Oscar Wildes. Dort erträgt ein
reich mit Edelsteinen und Gold besetztes Prinzendenkmal das Elend der
Stadt mitsamt seiner Bürger nicht mehr, lässt sich bis auf die letzte
Kostbarkeit "ausschlachten" und opfert sich damit selbst. Gleichzeitig
spielt der Titel aber auch auf den Künstler Richard Prince an, der vor
allem für seine astronomischen Preise auf dem Kunstmarkt bekannt ist.
Prince hatte Mitte der 2000er Muscle-Cars ausgeschlachtet oder mit Frauenbildern
beklebt und das Auto als Sinnbild von Freiheit, für Selbstbestimmtheit
und Unabhängigkeit inszeniert. Angesichts dessen muss sich der aufopfernde
und am Ende gebrochene Künstler der Macht des Marktes geschlagen geben.
Dieser bittere Beigeschmack einer scheinbar zerstörten Freiheit der Kunst
drückt sich auch in der im Hintergrund laufenden Soundarbeit aus. Piayda
hat den Song "I'm broken" von der Heavy-Metal-Band Pantera am Computer
geschreddert und damit zerstört, was sich vorher schon als kaputt definiert
hat. Hier funktioniert etwas nicht mehr wie es soll.
Die Arbeiten im Ausstellungsraum werden durch zwei Vitrinen im Gang der
U-Bahn-Station erweitert. Drei Videoarbeiten laufen hier für den Besucher
oder flüchtig Vorbeieilenden und fügen dem Ausstellungskonzept noch eine
ironische Brechung hinzu: Die ehemalige Nutzung der Vitrinen als Werbefläche
präsentiert die Kunst als Ware. Ähnlich einem Schaufensterbummel, bei
dem die Absicht des Schauens vor der des Kaufens steht, können die Objekte
der Begierde - nur von einer Scheibe getrennt - ausgiebig betrachtet werden.
Doch die Videos wecken aufgrund ihrer Immaterialität kaum vorrangig das
Verlangen zum Kauf - sieht man von den Bildschirmen, auf denen sie laufen,
einmal ab. Danberg und Piayda werben hier vielmehr um Aufmerksamkeit.
Während ersterer auf zwei Flachbildschirmen mit animierten GIF-ähnlichen
Videos die internetbedingte äußerst kurze Aufmerksamkeitsspanne heutiger
Betrachter bedient, fordert Piayda das Verweilen und Beobachten ein. Altmodisch
auf einem Röhrenfernseher präsentiert, schürt die langsame Bewegung der
riesigen Parabolantenne die Erwartungshaltung des Betrachters, die am
Ende durch Ereignislosigkeit unterlaufen wird. Flankiert wird diese Arbeit
von einer mithilfe der 3D-Technik gedruckten Skulptur von Matthias Danberg,
die wie die Prints einen Protagonisten seines aktuellen Videos sozusagen
materiell verwertet, doch überträgt Danberg hier das flache bzw. animierte
Bild in ein reales dreidimensionales Objekt; und offeriert sie damit einem
objektfixierten Markt zum Kauf.
Matthias Danberg und Sven Piayda verwandeln in der Ausstellung "Tragic
Kingdom (Exquisite Boredom)" ihre Unzufriedenheit mit dem kommerziellen
Kunstbetrieb in produktives, künstlerisches Schaffen. Anstatt ihm zu entsagen,
entstehen subversive, hochaktuelle Arbeiten mit dem Wissen über die Paradoxie,
sich selbst innerhalb des kritisierten Systems zu bewegen. Denn schlussendlich
ist festzuhalten, dass Wirkung eben immer auch Öffentlichkeit benötigt.
Linda Schröer
Dortmunder Kunstverein
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