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Erinnern
Sie sich noch an den Kunstunterricht in der Grundschule?
Kaum. Können Sie mir erzählen, an was Sie sich
noch erinnern? Ich erinnere mich an Wasserfarbe und Diskussionen
Über Deckweiß, konkret an eine Reihe Über Kartoffeldruck. Ich
habe mich bei der Lehrerin über die Verschwendung von Lebensmitteln beschwert.
Erinnern Sie sich denn an den Kunstunterricht in der weiterführenden
Schule? Können Sie mir erzählen, an was Sie sich noch erinnern?
Auch hier viel Wasserfarbe und Deckweiß. Wir machten Kalligrafieübungen
mit Füller und schwarzer Tinte, es gipfelte in einem Schildkrötenmotiv.
Wissen Sie, warum Ihnen genau diese Dinge in Erinnerung geblieben
sind? Obwohl ich schon immer eine Affinität zu Kunst hatte,
empfand ich vieles als sinn- und witzlos. Die Lehrerin macht den Unterricht vertretungsweise
und war wenig inspirierend. Kunst war damit neben Englisch das einzige Fach, in
dem ich je eine 5 auf dem Zeugnis hatte. Oftmals waren es technische Übungen
oder Stilkopien, Inhalt wurde kaum verhandelt. Interessanterweise erinnere
ich mich an den außerplanmäßigen Besuch einer Unterrichtsstunde
eines neuen Lehrers, er hatte einen Zopf, was damals für einen Lehrer schon
extrem wild war. In der Stunde zeigte er einen surrealen Film von Dali und analysierte
ihn. Das hat mich nachhaltig angesprochen: Das Abseitige betrachten und die Intention
herauslesen. Hat Sie der Kunstunterricht in irgendeiner
Weise beeinflusst oder zu irgendetwas beigetragen? Wenn ja, inwiefern?
Speziell diese eine Unterrichtsstunde im Schatten vieler anderer hat mir gezeigt,
dass es nichts mit Kunst zu tun hat, einfach Pigmente auf einem Untergrund zu
verteilen. Es geht eher darum, eine Intention zu verfolgen und sie in ein Medium
zu übertragen. Ich glaube, man hat es bei mir versäumt, mich
für die Magie und Kraft von Kunst zu sensibilisieren, das musste also woanders
stattfinden. Leider sehe ich meine schulische Sozialisation in puncto Kunst auch
bei Akademieabsolventen, die immer noch glauben, dass das reine Tun ausreicht.
Vielleicht auch hinsichtlich Ihrer Wahrnehmung oder Persönlichkeit?
Ich habe gelernt, erst genau hinzusehen und daraus die Intention zu lesen. Diese
Herangehensweise wurde bei mir auch durch Religion und ein Linguistikstudium geschult,
wurde dann aber durch Kunst aufgegriffen und weitergetragen. Inwiefern
spiegeln sich diese Veränderungen in Ihrem heutigen Denken und Handeln wider?
Ich halte mich selbst in meinem Denken für empathisch, fair und liberal,
ich habe ein Misstrauen dem Mainstream gegenüber und eine Faszination für
Abseitiges. Gleichzeitig stelle ich aber auch Ansprüche an die Dinge, da
sie sonst beliebig wären. Und ich versuche, meinen gestellten Ansprüchen
selbst gerecht zu werden. Beliebigkeit ist das Gegenteil von Kunst.
Inwiefern beziehen Sie die Heterogenität der SuS in der Planung Ihres Unterrichts
mit ein? Eine Aufgabe muss idealerweise auf verschiedenen Ebenen
zu bewerkstelligen sein, als Minimallösung, als Ideallösung und als
Reinterpretation. Dabei sollte der antizipierte Anspruch immer etwas über
dem bereits Gekonnten oder Bekannten liegen. Worauf legen
Sie bei Ihrer Arbeit bzw. in Ihrem Unterricht am meisten Wert?
Natürlich zielt Unterricht primär auf die Vermittlung technischer Kompetenzen
ab, mir geht es auch um die Persönlichkeitsentwicklung, um Fähigkeit
zur Faszination sowie Reflexion und auch Spaß. Schule will und soll
keine roboterhaften Fachidioten produzieren, sondern reflektierte und eigenverantwortliche
Menschen. Diese Menschen sollen im besten Falle auch mit sich selbst klarkommen.
Ich habe in den letzten Jahren auch eher beiläufig Schüler an Kunst
herangeführt, dessen fachlicher Schwerpunkt nichts mit Kunst oder Gestaltung
zu tun hatte. Beim Wiedersehen mit Schülerinnen, die bereits ein Grafikstudium
abgeschlossen hatten, war ich verblüfft festzustellen, dass sie wesentlich
stärker von mir geprägt waren, als ich dachte. Der Einfluss (und die
damit verbundene Verantwortung) von Lehrerinnen und Lehrern ist wesentlich massiver
als oftmals angenommen wird. Wie fördern Sie die Erfüllung
dieser Werte bzw. inwiefern tragen Sie dazu bei? Ich versuche stets,
die individuellen Eigenheiten und Fähigkeiten zu fördern und sie gleichzeitig
mit Bekanntem aus der Kunstgeschichte zu konterkarieren. Ein Gestalter oder Künstler
der Postmoderne steht zwangsläufig im Schatten seiner Vorgänger, ihm
bleibt nur Adaption und Remix. Man muss die Möglichkeit haben, sich zu inspirieren
oder auch abzugrenzen, also sich selbst zu reflektieren und zu definieren. Ich
finde es eher peinlich, sich als innovativ und genial zu empfinden, nur weil man
die letzten tausend Jahre Menschheitsgeschichte ignoriert. Ich bin durchaus
bekannt dafür abzuschweifen, allerdings nicht, weil ich unkonzentriert arbeite,
sondern weil ich stets größere Zusammenhänge und übergreifende
Prinzipien transparent machen will. Kunst ist immerhin das Werkzeug, mit dem wir
eine überbordende Welt gedanklich verhandeln können.
Wie kann die Heterogenität im Kunstunterricht in Zukunft besser beachtet
und so die Identitätsbildung der Schükerinnen ind Schüler optimal
gefördert werden? Jede Gruppe von Lernenden ist per se heterogen.
Was sie verbinden muss, ist ein transparenter und für alle geltender Standard
bezüglich einer zu erwartenden Leistung. Heterogenität soll durch unterschiedliche
Methoden der Differenzierung beantwortet werden. Parallel dazu muss eine Identitäsbildung
stattfinden. Was widersprüchlich klingt, soll zusammen gelingen, denn es
ist beides gleichwertig. Die Zukunft hält hier wenig Neues bereit,
auch digitale Medien halte ich in dem Kontext für überbewertet und teilweise
für kontraproduktiv. Ich glaube, dass der gute Umgang mit Heterogenität
stark von der Sensibilität und Kreativität der Lehrkraft abhängt.
Niemand hat gesagt, es wäre einfach.
Vielen
Dank für Ihre Antworten! |