galerie tellerrand: #howdeepisyourlove
michael em walter in conversation with sven piayda
galerie-tellerand.de, november 2015

 
 Sven, wenn man sich Deinen Werkkatalog ansieht, fällt auf, dass Du Dich mit den Jahren immer stärker der digitalen Kunst verschreibst. Stand vor einigen Jahren noch die klassische Fotografie im Mittelpunkt Deines Interesses, meint man jetzt, dass Du dieses Vorgehen nahezu komplett hinter Dir gelassen hast. Auf vielen Deiner aktuellen Arbeiten z.B. erscheinen mit dem Computer generierte Skulpturen, einige scheinen gar komplett vom Rechner erzeugt. Wie erklärst Du Dir diesen Wandel?

Die Möglichkeiten der digitalen Technik sind unbegrenzt und sehr reizvoll in der Bildproduktion. Da es mir ohnehin nicht um authentische Abbildung geht, macht es durchaus Sinn, Bilder nicht nur abzufotografieren, sondern auch komplett digital zu erschaffen. Es hat Vor- und Nachteile: Ein Foto aufzunehmen dauert vielleicht eine 1/60 Sekunde, aber das ist gekoppelt an Anreise, Motiv, Wetter und Postproduktion, eine rein digitale Produktion ist unabhängig von Ort und Zeit. Tatsächlich gibt es keine Kopplung zwischen realer Welt und Bild, lediglich durch die Nachbildung eines Motivs.
Darüber hinaus findet ‚#howdeepisyourlove' im komplett digitalen Raum statt, daher scheint es logisch auch digital generierte Arbeiten zu zeigen. Zwar sind sie mit Hilfe einer mathematischen Dreidimensionalität erschaffen, jedoch als Bild auf die zweidimensionale Fläche des Bildschirms zusammengeschoben, ähnlich wie es beim Fotografieren passiert und der Welt, wenn man sie durch einen Computerbildschirm betrachtet.

Welche Rolle spielt die Fotokamera in Deiner aktuellen Arbeit?

Auch wenn über die Jahre weitere Disziplinen zu meinem Repertoire dazugekommen sind, bildet klassische Fotografie die Grundlage meiner Arbeiten, auch bei Video, Sound und generativen Bildern. Ich fotografiere immer noch viel. Ein Foto wirkt so einfach und banal, jedoch ist es nicht einfach, etwas zu schaffen, das die Zeit einfriert und damit über Jahre an der Wand bestehen soll, ohne langweilig und abgegriffen zu werden.
Die Bilderschwemme in sozialen Netzwerken ist überbordend, die Technik der Fotografie ist einfach, billig, verfügbar und omnipräsent. Niemals zuvor gab es so viele Bilder wie heute, also eine Möglichkeit zur Quantität ohne die Frage nach Qualität zu stellen.
Stell dir vor, du würdest nur ein einziges Bild pro Jahr hochladen dürfen, wie würde es aussehen? Ein Schnappschuss oder eine Komposition?

Ein weiteres Medium gewinnt in letzter Zeit an Bedeutung in Deiner Arbeit: das Video, der Film! Was kann Video, was das Foto so nicht kann?

Video war schon immer Interessant für mich, jedoch habe lange nicht die Möglichkeit und das Wissen gehabt, um technisch und konzeptionell gut damit arbeiten zu können. Den Begriff ‚Film' würde ich in diesem Zusammenhang nicht benutzen wollen, verweist er doch eher auf physische Einzelbilder und filmische Erzählung, also Narration. Das ist ein anderes, sehr weites Feld, an welchem ich mich nicht versuche.
Ich habe Video für mich als Erweiterung von Fotografie begriffen, ein Foto mit Zeitebene. Schon beim Foto mag ich die Ähnlichkeit zur Realität, das Video scheint tatsächlich die Welt mit Zeit und Veränderung eingefangen zu haben. Ähnlich wie bei den Fotografien untersuchen die Videos auch Teilaspekte ihrer selbst, im konkreten Fall geht es um Tiefe, also die im zweidimensionalen Medium vorgegaukelte z-Achse unserer Welt. Gedacht sind diese Videos auch stets als Installation, mit einer dauerhaften Präsenz wie ein Bild, nicht jedoch für einen Vorführkontext wie in einem Kino.
Ein Tableau, welches sich bewegt erscheint mir magisch und futuristisch, gleichzeitig auf bizarre Art real und irreal.

Zum Titel der aktuellen Ausstellung: "How deep is your love" Spielt er vielleicht an auf unsere digitale Umgebung, auf die aus dem Pixel heraus geschaffene schöne, neue Welt? Das könnte ich mir denken, bin mir aber nicht sicher...

Die digitale Herkunft und Präsentation der Arbeiten spielt dabei natürlich eine Rolle. Wenn man eine Ausstellung komplett auf dem Bildschirm, und damit im zweidimensionalen Raum macht, muss man sich mit fehlender Tiefe und deren Simulation auseinander setzen. Dies sogar auch bei sonst so wenig raumgreifenden Disziplinen wie der Fotografie oder dem Video. Beim Wort ‚deep' fällt jedem sofort der Hit der Bee Gees ein, wobei die Frage nach der Tiefe der Liebe aus diversen Gründen eigenartig wirkt, ist sie doch im romanischen Sinne eher binär, also unendlich da oder eben nicht. Der Song bildet somit auch die Basis der Soundarbeit, bei welcher er in einen schier nie enden Ambientsound transformiert wurde. Diese zieht den Besucher immer weiter in die Tiefe ohne sich dabei zu wiederholen oder die tatsächliche Wiederholung kenntlich zu machen. Die Fotos zeigen ebenfalls semireale plastische Objekte und die Videos zeigen eher leicht zu durchschauende Eingriffe um Tiefe und das Eintauchen in eine Bildwelt zu simulieren.

Stichwort "Sound": Du bist seit Jahren mit AESTATE auch in der musikalischen Welt beheimatet. Hast Du eine bevorzuge Kunstform? Oder sind das für Dich unterschiedliche Ausdrucksformen der gleichen Sache?

Kunst und Musik sind für mich zwei komplett unterschiedliche Dinge. Die bildende Kunst, also Fotografie, Video und auch Sound betreibe ich mit einem konzeptionellen Anspruch u.a. auf schönen Oberflächen, Metaebenen und kulturellen Verweisen.
Die Musik von AESTATE hat für mich keine weitere Aussage. Es geht nur um die Musik selbst, um das Spiel mit Sound und Struktur, echten Instrumenten und digitalen Möglichkeiten. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass es keinen Anspruch gibt. AESTATE haben auch eine starke visuelle Seite, die Nähe zur bildenden Kunst lässt sich auch hier nicht leugnen. AESTATE konnten live auch immer besser im kulturellen Kontext stattfinden, Clubs und Konzertveranstalter hatten eher Probleme mit der Einordnung unseres Sounds und den stilistischen Möglichkeiten. Man mag dem Kunstpublikum ja einiges unterstellen können, aber ich habe es, was Musik angeht, immer als sehr aufgeschlossen erlebt.
AESTATE ist einfach ein musikalischer Spielplatz. Ich glaube, so klingt es auch… Ich kann nicht sagen, ob ich eine Sache bevorzuge, ich mache schon länger Musik als Kunst, dennoch sehe ich mich heute eher als bildender Künstler.

Videokunst ist ja eine eher junge Kunst, trotzdem haben sich sicher schon Stränge von unterschiedlichen künstlerischen Traditionen herauskristallisiert. In welcher Tradition siehst du Dich? Hast Du Vorbilder aus der Videokunst? Einzelne Werke oder Künstler?

Videokunst ist zwar jung aber schon sehr unterschiedlich in der Ausprägung. Ich mag keine Videos, die eher Dokumentation einer Performance sind, auch finde ich gängige filmische Erzählung eher schwierig.
Das bitte ich nicht falsch zu verstehen, es sind gängige Möglichkeiten die künstlerische und handwerkliche Fähigkeiten voraussetzen, aber ich finde sie im installativen Kontext einer Galerie oder eines Museums eher schwierig. Spannend finde ich, wenn Einstellungen lange stehen, wenn die Frames wie Gemälde komponiert sind und es nicht oder nicht nur um die Erzählung einer Geschichte geht. Ich weiß, dass ich von einem Besucher viel verlange, wenn ich von ihm erwarte, dass er fünf Minuten zuschauen soll, während er sich für gehängte Bilder nur ein paar Sekunden Zeit nimmt. Ich denke, er muss auch in wenigen Sekunden Video etwas mitnehmen können, und im besten Falle überredet ihn das durchkomponierte Bild doch länger zu bleiben.
Video kann so viel, es hat die Ebenen der Zeit, der Oberfläche, des Mediums selbst, darüber hinaus ist es jedem durch den heimischen Fernseher oder das Kino vertraut. Musikvideos und Werbung sind aufgrund ihrer Kürze auch ästhetisch komprimiert, wenn jede Sekunde Sinn machen muss, habe ich schon ein kunstvolles Video, sofern man den Apell zum Konsum ignoriert. Noch stärker als die Fotografie behauptet das bewegt Bild, die Realität abzubilden, es bietet sie zur Beobachtung an wie ein Fenster, dabei sind die Möglichkeiten des künstlerischen Eingriffs subtil und endlos.
Es ist einfach zeitgemäß und voller Möglichkeiten.
Ich mag Paul Pfeiffer und David Claerbout, sie holen wirklich etwas aus den Möglichkeuten heraus und befassen sich mit dem Medium. Eija-Liisa Ahtila und Laurent Montaron mag ich wegen ihrer metahaften Erzählweise, sie schaffen wirklich neues und kommunizieren über die Narration hinaus.
Michel Gondry und Chris Cunningham bleiben meine Musikvideohelden. Aus Hollywood mag ich David Lynch und David Fincher. Sie sind alle visuell sehr auf den Punkt.

Videokunst erfordert - im Gegensatz zu klassischer Bildkunst - eine technisch aufwändigere und komplexere Präsentationsform. Worin siehst Du die Potentiale und Herausforderungen von Videokunst?


Es stimmt, Video zu präsentieren ist grundsätzlich aufwändiger, dabei ist es schwierig, bei Museen oder Galerien technische Standards vorauszusetzen. Die meisten meiner Videos sind in der Präsentation technisch sehr einfach gehalten, das stellt sicher, dass sie auch laufen. Auch in großen Museen habe schon vor Videoarbeiten international bekannter Künstler gestanden, die seitenverkehrt präsentiert wurden, oder wegen technischer Probleme gar nicht liefen. Das war manchmal sehr enttäuschend, gerade, wenn man eine längere Anreise hatte. Ich versuche stets, so gut es geht sicherzustellen, dass meine Arbeiten auch laufen, wenn sich jemand den Weg in eine meiner Ausstellungen macht, möchte ich nicht wegen Technikproblemen enttäuschen.
Ich habe mir früh abgewöhnt, dem State-Of-The-Art hinterherzulaufen, es macht keinen Sinn. Es gibt nur wenige Künstler, die technische Neuerungen wirklich begreifen und die technischen Möglichkeiten untrennbar mit dem Content des Werkes verbinden. Oft ist es nur ein Technik-Showcase, das in absehbarer Zeit wieder veraltet ist. Es ist sicher auch die große Herausforderung für das Werk im bewegten Medium einen inhaltlichen Nachhall zu erzeugen, welcher den Stand der Technik sekundär erscheinen lässt.
Ich habe Video als sehr komplexes und zeitgemäßes Medium begriffen, etwas mit großem Potential. Es hatte seinen Hype und seine Regression und kann nun ernsthaft mit allen anderen Disziplinen koexistieren. Es hat ohnehin etwas von allen anderen Disziplinen.

Da Du aus Gelsenkirchen stammst und jetzt in Mülheim wohnst, interessiert mich Dein Blick auf die Region unserer Herkunft. Welche Gefahren, welche Chancen siehst Du, wenn Du heute auf das Ruhrgebiet blickst?

Ich bin in Gelsenkirchen geboren und habe dort auch bis 2003 gelebt. Damals wollte ich nicht weg, heute könnte ich es mir nicht mehr vorstellen, zurückzuziehen. Aus dem Ruhrgebiet bin ich dennoch nicht rausgekommen, es gefällt mir hier sehr gut und wir haben es hier auch sehr gut. Wir sind ein riesiger Ballungsraum mitten in Europa, hier gibt es alles, was man zum guten Leben braucht. Und ich finde es sogar schön hier. Die Stadtgrenzen nehme ich zwar wahr, aber Lokalpatriotismus bringe ich nicht mit, alle Städte haben schöne und weniger schöne Ecken, Mülheim gefällt mir sehr, aber ich bin auch schnell und viel in Essen, wo ich auch lange Zeit gelebt habe.
Die Region kommt natürlich nicht zur Ruhe, dass es das dichtbesiedelte Ruhrgebiet nur wegen der Kohlevorkommen überhaupt gibt, weiß jeder. Nachdem die Kohle nicht mehr wettbewerbsfähig war und das Zechensterben einsetzte, brauchte das Ruhrgebiet ein neues Selbstverständnis. Es stellte sich die Frage, was man darstellen will und wo die Menschen in Zukunft arbeiten sollen. Natürlich ist die Region immer noch industriell stark und relevant, jedoch ist die profilgebende Kohle Geschichte. In den 90ern kam die Idee der Service- und Dienstleistungsmonopole auf, der Wissenschaftspark in Gelsenkirchen wurde eröffnet, es gab eine Verschiebung hin zur Kopfarbeit: Logistik, Forschung und Innovation. Es scheint, dass Kunst und der ihr anhängende Kulturbetrieb jetzt ein weiteres Feld aufmacht. Es eröffneten in den letzten zwei Dekaden neue Akademien und Galerien, Kunst findet vermehrt im öffentlichen Raum statt. Kunst und Kultur sind eine große Chance für das Ruhrgebiet, für uns Einwohner, wie auch für Touristen. Und sogar Industrieruinen wurden in Kulturdenkmäler verwandelt, vielleicht macht das die Verschiebung zur Kultur am besten deutlich.
Das Ruhrgebiet erlebt durchaus einen Hype um den Kunstbetrieb, dieser mag sich auch wieder abschwächen und Platz für etwas Neues machen. In 15 Jahren wird es sicher ein weiteres wichtiges Standbein der Region geben, auch wenn wir das jetzt noch nicht absehen können.

Kannst Du uns etwas über Deine Projekte in den kommenden Monaten erzählen? Was steht an?

Ich arbeite meist an vielen Dingen gleichzeitig und es hängt oft auch von meinen kooperierenden Partnern ab, ob Ausstellungen oder Projekte etwas werden. Ich freue mich derzeit darauf im Kunstmuseum Gelsenkirchen auszustellen und hoffe auch im Kunstmuseum Mülheim wieder etwas zeigen zu dürfen. Mit dem Fotokünstler Wolfgang van Triel arbeite ich seit 2013 an einem gemeinsamen Fotografieprojekt und wir werden es - wenn alles gut geht - im Spätsommer 2017 endlich an die Wand bringen. Es gibt auch Planungen mit Kunstvereinen, allerdings nichts, über das man jetzt sprechen kann. Darüber hinaus sind Diskussionsrunden und Blogprojekte in Planung. Das klingt nach viel, jedoch halte ich es vom Aufwand überschaubar. Mir ist es wichtig, den Spaß dabei rauszuholen und eine gute Arbeit, Ausstellung oder ein spannendes Event gemacht zu haben. Der kommerzielle Aspekt ist mir dabei weniger wichtig, auch, wenn er wichtiger wird.
Das klingt nach viel Arbeit und guter Taktung, aber ich versuche auch immer mal wieder bewusst weniger zu machen oder denke manchmal darüber nach wie Anselm Reyle eine echte Pause einzulegen. Das soll die Preise hochtreiben…