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Aufzeichnung der Gezeiten
Im Gespräch mit Elektromusiker Sven Piayda
Elektronische
Musik ist doch eigentlich gar keine richtige Musik! Da steht doch nur jemand hinter
einem Laptop und drückt auf Tasten. – Eine Aussage, die man immer wieder zu hören
bekommt und die vor Klischees nur so strotzt. In Wahrheit sieht es meistens ganz
anders aus: Hinter dieser Musik steckt ein hochgradig künstlerischer Arbeitsprozess
und zwar von der Aufnahme über das Abmischen bis hin zum fertigen Song. Ein Paradebeispiel
für gut gemachte Elektromusik hört man auf dem Album Endurance von Sven Piayda
a.k.a. Record Of Tides, welches vor allem durch einen eleganten Mix von verschiedenen
Stilrichtungen glänzt, den man in dem Genre sonst nicht gewohnt ist. In einem
Interview stellt der gebürtige Gelsenkirchener, der primär in der bildenden Kunst
beheimatet ist und in Essen Gestaltungstechnik studiert hat, sein musikalisches
Projekt „record of tides“ vor.
Alexander
Welp: „record of tides“ heißt dein Projekt. Frei übersetzt also: „Aufzeichnung
der Gezeiten“. Dabei handelt es sich um ein audiovisuelles elektronisches Musikerlebnis.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Sven Piayda: Vielleicht
kann ich ja erstmal generell etwas zu dem Namen sagen! Tatsächlich gibt es das
Projekt und den Namen schon sehr lange. Im Ursprung bestimmt schon seit zwanzig
Jahren. Gezeiten lassen sich ja in einer Art Wellenform, ähnlich wie bei einer
Amplitude, beschreiben – ein spannendes Phänomen! Meine Musik könnte man dem Bereich
Electronica zuordnen, und meine Alben sollen in sich geschlossene Werke darstellen,
die trotzdem sehr individuell gestaltet sind. Bei meinen Live-Auftritten versuche
ich auch immer, ein paar Visuals mitzubringen, um die Musik mit Bildern zu unterstützen.
Das habe ich in dem Video zum Song „Reinform Plus (The Shore At Turning
Point)“ gesehen. Da wird eine Krabbe gezeigt, die zum Schluss in einer Art Regen
aus buntem Konfetti dasteht. Ganz schön abgefahren!
Ja, genau! Mit
solchen Videosequenzen will ich lose und abstrakte Geschichten erzählen. Das sind
auch alles eigene Produktionen, die aber auch mit vielen spielerischen Elementen
verbunden sind. Das menschliche Gehirn verarbeitet die Musik und die Visuals dann
zusammen, und es entsteht eine unheimlich spannende Zufälligkeit. Das Schöne bei
meinen Auftritten ist auch, dass jede Show einzigartig ist. Ich trete zwar nicht
oft auf, maximal drei Mal pro Jahr, aber das erlaubt mir, bei jeder Veranstaltung
neue Variationen auszuprobieren. Live darf es auch gerne mal einen Tacken wilder
und anregender sein. Songs, die man Zuhause oder beim Joggen so nebenbei hört,
haben live nochmal einen ganz anderen Charakter.
Ist das Ganze ein Solo-Projekt?
(lacht) Je älter man wird,
desto schwieriger wird es, Leute zusammenzubekommen! Aber ja, es ist ein reines
Solo-Projekt. Das ist auch gut so, denn so habe ich beim Aufnahmeprozess freie
Entscheidungsgewalt. Das ist nicht wie bei einer Band, wo dann beispielsweise
der Gitarrist beleidigt ist, wenn er bei einem Song nicht mitspielen darf. Dadurch,
dass ich alles alleine mache, habe ich auch immer sehr viel Abwechslung bei der
Produktion. Mir ist dabei auch nicht so wichtig, dass alles bis ins kleinste Detail
perfekt produziert wird, sondern dass (!) etwas produziert wird. Teilweise kann
es passieren, dass einzelne Songs über Jahre hinweg brach liegen und dann wieder
aufgegriffen werden. Andere Passagen entwickeln sich innerhalb von Monaten oder
Tagen – Dynamik ist hier das Zauberwort! Musik muss dabei auch immer Spaß machen,
und ich empfinde diese Tätigkeit als sehr sinnstiftend.
„Endurance“
nehme ich persönlich als sehr facettenreich wahr. Woher kommen die Einflüsse für
deine Musik?
Gerade das Album ist wirklich poppig geworden. Ich habe
da ein breites Spektrum von Genres vor Augen gehabt und auch mal nach links und
rechts geschaut. Meinen kreativen Input bekomme ich von Künstlern wie Aphex Twin
und Queen. Vor allem das Gitarrenspiel von Queen war eine große Inspiration für
einige meiner Songs. Ich finde ja, dass in der Postmoderne auch nur etwas Neues
entstehen kann, wenn man bereits bestehende Musikeindrücke kombiniert. Das ist
somit auch eine Verneigung vor meinen Vorbildern.
Bei
elektronischer Musik gibt es ja meistens keine Lyrics, und die pure Musik steht
im Vordergrund. Welche Emotionen würdest du gern bei deinen Zuhörern hervorrufen?
Ganz banal gesagt: Ich hoffe einfach, dass die Leute meine Sounds
als etwas Schönes empfinden und Spaß an den komplexen Beats haben. Meine Musik
bietet, im Vergleich zu Techno und House, mehr Variationen und besitzt mehr Potential
für Überraschungen. Die Musik ist sozusagen der Türöffner für den Kaninchenbau.
Was ist für 2019 geplant?
Am 13. Juli bin ich bei der Szeniale
in Ückendorf dabei. Darauf freue ich mich schon ziemlich, denn diese Veranstaltung
bietet den richtigen Kontext für meine Musik. Davor spiele ich eventuell im Mai
noch einen Gig in Hamm. Außerdem sind für dieses Jahr noch zwei Alben geplant.
Dabei wird es sich um eine Sammlung aus dem Bereich Postrock, aber auch um rein
programmierte Beats handeln. Beim Hören soll man da nicht sofort merken, dass
alle Sachen der gleichen Feder entspringen!
Live-Show: Samstag, 13. Juli
2019 im Rahmen der Szeniale in GE-Ückendorf
www.recordoftides.com isso
magazine march 2019 issue |