isso magazine: record of tides interview
alexander welp in conversation with sven piayda
for szeniale festival to take place
july 13, 2019 in gelsenkirchen

 
 

Aufzeichnung der Gezeiten
Im Gespräch mit Elektromusiker Sven Piayda


Elektronische Musik ist doch eigentlich gar keine richtige Musik! Da steht doch nur jemand hinter einem Laptop und drückt auf Tasten. – Eine Aussage, die man immer wieder zu hören bekommt und die vor Klischees nur so strotzt. In Wahrheit sieht es meistens ganz anders aus: Hinter dieser Musik steckt ein hochgradig künstlerischer Arbeitsprozess und zwar von der Aufnahme über das Abmischen bis hin zum fertigen Song. Ein Paradebeispiel für gut gemachte Elektromusik hört man auf dem Album Endurance von Sven Piayda a.k.a. Record Of Tides, welches vor allem durch einen eleganten Mix von verschiedenen Stilrichtungen glänzt, den man in dem Genre sonst nicht gewohnt ist. In einem Interview stellt der gebürtige Gelsenkirchener, der primär in der bildenden Kunst beheimatet ist und in Essen Gestaltungstechnik studiert hat, sein musikalisches Projekt „record of tides“ vor.





Alexander Welp: „record of tides“ heißt dein Projekt. Frei übersetzt also: „Aufzeichnung der Gezeiten“. Dabei handelt es sich um ein audiovisuelles elektronisches Musikerlebnis. Was kann man sich darunter vorstellen?

Sven Piayda: Vielleicht kann ich ja erstmal generell etwas zu dem Namen sagen! Tatsächlich gibt es das Projekt und den Namen schon sehr lange. Im Ursprung bestimmt schon seit zwanzig Jahren. Gezeiten lassen sich ja in einer Art Wellenform, ähnlich wie bei einer Amplitude, beschreiben – ein spannendes Phänomen! Meine Musik könnte man dem Bereich Electronica zuordnen, und meine Alben sollen in sich geschlossene Werke darstellen, die trotzdem sehr individuell gestaltet sind. Bei meinen Live-Auftritten versuche ich auch immer, ein paar Visuals mitzubringen, um die Musik mit Bildern zu unterstützen.

Das habe ich in dem Video zum Song „Reinform Plus (The Shore At Turning Point)“ gesehen. Da wird eine Krabbe gezeigt, die zum Schluss in einer Art Regen aus buntem Konfetti dasteht. Ganz schön abgefahren!

Ja, genau! Mit solchen Videosequenzen will ich lose und abstrakte Geschichten erzählen. Das sind auch alles eigene Produktionen, die aber auch mit vielen spielerischen Elementen verbunden sind. Das menschliche Gehirn verarbeitet die Musik und die Visuals dann zusammen, und es entsteht eine unheimlich spannende Zufälligkeit. Das Schöne bei meinen Auftritten ist auch, dass jede Show einzigartig ist. Ich trete zwar nicht oft auf, maximal drei Mal pro Jahr, aber das erlaubt mir, bei jeder Veranstaltung neue Variationen auszuprobieren. Live darf es auch gerne mal einen Tacken wilder und anregender sein. Songs, die man Zuhause oder beim Joggen so nebenbei hört, haben live nochmal einen ganz anderen Charakter.



Ist das Ganze ein Solo-Projekt?

(lacht) Je älter man wird, desto schwieriger wird es, Leute zusammenzubekommen! Aber ja, es ist ein reines Solo-Projekt. Das ist auch gut so, denn so habe ich beim Aufnahmeprozess freie Entscheidungsgewalt. Das ist nicht wie bei einer Band, wo dann beispielsweise der Gitarrist beleidigt ist, wenn er bei einem Song nicht mitspielen darf. Dadurch, dass ich alles alleine mache, habe ich auch immer sehr viel Abwechslung bei der Produktion. Mir ist dabei auch nicht so wichtig, dass alles bis ins kleinste Detail perfekt produziert wird, sondern dass (!) etwas produziert wird. Teilweise kann es passieren, dass einzelne Songs über Jahre hinweg brach liegen und dann wieder aufgegriffen werden. Andere Passagen entwickeln sich innerhalb von Monaten oder Tagen – Dynamik ist hier das Zauberwort! Musik muss dabei auch immer Spaß machen, und ich empfinde diese Tätigkeit als sehr sinnstiftend.

„Endurance“ nehme ich persönlich als sehr facettenreich wahr. Woher kommen die Einflüsse für deine Musik?

Gerade das Album ist wirklich poppig geworden. Ich habe da ein breites Spektrum von Genres vor Augen gehabt und auch mal nach links und rechts geschaut. Meinen kreativen Input bekomme ich von Künstlern wie Aphex Twin und Queen. Vor allem das Gitarrenspiel von Queen war eine große Inspiration für einige meiner Songs. Ich finde ja, dass in der Postmoderne auch nur etwas Neues entstehen kann, wenn man bereits bestehende Musikeindrücke kombiniert. Das ist somit auch eine Verneigung vor meinen Vorbildern.





Bei elektronischer Musik gibt es ja meistens keine Lyrics, und die pure Musik steht im Vordergrund. Welche Emotionen würdest du gern bei deinen Zuhörern hervorrufen?


Ganz banal gesagt: Ich hoffe einfach, dass die Leute meine Sounds als etwas Schönes empfinden und Spaß an den komplexen Beats haben. Meine Musik bietet, im Vergleich zu Techno und House, mehr Variationen und besitzt mehr Potential für Überraschungen. Die Musik ist sozusagen der Türöffner für den Kaninchenbau.

Was ist für 2019 geplant?

Am 13. Juli bin ich bei der Szeniale in Ückendorf dabei. Darauf freue ich mich schon ziemlich, denn diese Veranstaltung bietet den richtigen Kontext für meine Musik. Davor spiele ich eventuell im Mai noch einen Gig in Hamm. Außerdem sind für dieses Jahr noch zwei Alben geplant. Dabei wird es sich um eine Sammlung aus dem Bereich Postrock, aber auch um rein programmierte Beats handeln. Beim Hören soll man da nicht sofort merken, dass alle Sachen der gleichen Feder entspringen!

Live-Show: Samstag, 13. Juli 2019
im Rahmen der Szeniale in GE-Ückendorf

www.recordoftides.com
isso magazine march 2019 issue